Selbstverwaltung bei Dreschflegel (2017)
„Ich will keinen Chef, egal wie flach er ist!“
Dieser Ausspruch von Mitbegründer Ludwig Watschong beschreibt sehr deutlich unseren
Wunsch nach einem gemeinsamen Wirtschaften, jenseits herkömmlicher Chefstrukturen.
Dreschflegel ist ein selbstverwalteter Betrieb in Form einer GbR, in der es auch keine soge-
nannte flache Hierarchie geben soll.
Kann das funktionieren, wenn 15 BetriebsleiterInnen, die GesellschafterInnen der GbR sind,
und die von ihr sechs festangestellten Menschen in der Versandstelle gleichberechtigt ohne
klassische Geschäftsführung zusammenarbeiten?
Die Zahlen sprechen erst einmal dafür:
- aktuelles Angebot von 700 Sorten, das von den inzwischen 15 Höfen bereitgestellt wird;
- stetige KundInnen- und Umsatzzuwächse, oft im zweistelligen Prozentbereich ;
- bis zu 500 Sendungen, die täglich gepackt und versendet werden;
- rund zwanzig Saisonkräfte, die organisiert und verwaltet werden müssen.
Aber auch diese Fakten sind in diesem Zusammenhang relevant: - hohe Arbeitsspitzen, vor allem auf den Dreschflegelhöfen, auch mal an der Grenze
zur persönlichen Überforderung; - viele Routinearbeiten im Versand – Rechnungen schreiben, Tüten sammeln und
verpacken usw.; - Einkommen, die oft nicht ausreichend sind, z.B. um eine gute Alterssicherung zu
gewährleisten.
Hier wird schon deutlich, dass es einer engagierten Grundhaltung bedarf, die klassische
Denkstrukturen von Karriere und Einkommen hinter sich lässt. Hierin liegt wiederum die
Gefahr einer Tendenz zur Selbstausbeutung. Ein umsichtiger Chef oder eine Chefin, der/die
auf die Belastung seiner/ ihrer MitarbeiterInnen achtet, könnte da ein Vorteil sein. Eine, die
auch mal positive Rückmeldung gibt, denn auch wir kennen hier das schwäbische Motto,
Anerkennung durch das Weglassen von Kritik auszudrücken: „Nix geschwätzt isch gelobt
genug ...“ Andererseits, wenn mich eine/r lobt, quasi aus der gönnerhaften Position des
Wissenden heraus, stellt der/die sich dann über mich??! ...
Aber wie ist es nun, wenn keineR und alle das Sagen haben?
Ein gutes Miteinander kann letztlich nur funktionieren, wenn alle Beteiligten gemeinsam für
die gesetzten Ziele arbeiten wollen – für Profilneurosen (Geltungsdrang, Machtstreben) ist da
kein Platz ...
Oder doch? Gibt es tatsächlich keine heimlichen ChefInnen bei uns? Es gibt, wie immer,
wenn Menschen zusammen arbeiten, mehr oder weniger stark engagierte, strukturierte,
informierte Leute. Es gibt Vordenkerinnen, Bremser, fleißige Arbeiterinnen, Ausgeglichene,
solche, die „am Rad drehen“, Kümmerer, Checkerinnen, Ermahner usw. Es gibt also eine Art
Hierarchie, die mit Information und Engagement oder auch übernommenen Verantwortungs-
bereichen zu tun hat. Entscheidend dabei ist, dass damit keine Wertung verbunden ist: Wer
Routinearbeiten erledigt, ist nicht weniger wichtig als andere, die organisatorisch kreativ tätig
sind. Und die Festangestellten im Versand verdienen alle gleich viel (oder wenig ...).
Wobei hier die Grenzen unseres Gleichbehandlungsanspruches sichtbar werden: Die
Menschen, die nur in unserer Hauptsaison mitarbeiten, verdienen weniger und sind nur in
ihrem unmittelbaren Wirkbereich in die Entscheidungsfindung eingebunden.
Keine offiziell als leitende Personen benannte Vorgesetzten zu haben, bedeutet nicht, dass
die eine dem anderen nichts anweist, kritisiert oder die Einhaltung festgelegter Regeln ein-
fordert. So kommt es immer wieder mal vor, dass wir Versandangestellten unsere Arbeitge-
berInnen ermahnen müssen, vereinbarten Pflichten, wie z.B. dem rechtzeitigen Anliefern
von Saatgut in der Versandstelle mit korrekt ausgefüllten Lieferscheinen, nachzukommen ...
Kritisieren und Fehler benennen ist nicht einfach und dürfte in Gruppen, neben unterschied-
lichen Erwartungshaltungen, Hauptkonfliktgrund sein. Bei Dreschflegel herrscht da ein
schöner Geist, Fehler zu benennen, aber nicht die Schuldfrage zu stellen, Kritik in der Sache
zu üben und nicht am Menschen. So weit, so gut – klappt halt nicht immer, macht aber auch
nix, weil auch wir sind nicht perfekt.
Alle einer Meinung?
entscheidungsfähig sein möchte, muss sie sich klare Regeln und Methoden überlegen.
Bei uns gilt zwar das Konsensprinzip. Um aber nicht alles mit allen ausdiskutieren zu müs-
sen, haben wir drei Koordinationsgruppen für die Bereiche Finanzen/ Recht/ Kommunika-
tion, Erzeugung/ Sortiment und Öffentlichkeitsarbeit. Alle wichtigen Entscheidungen wer-
den soweit möglich von diesen Gruppen, die sowohl mit VertreterInnen der GbR als auch
VersandmitarbeiterInnen besetzt sind, vorbereitet oder gleich entschieden. Unterstützt wer-
den sie dabei von kleineren Arbeitsgruppen mit enger definiertem Arbeitsfeld (Sortiments-
bereiche, Preisgestaltung, Redaktion u.a.).
Das eigentliche „Entscheidungsorgan“ ist die Versammlung von GesellschafterInnen und
Versandteam zweimal jährlich. Hier wird, was vorab hoffentlich gut vorbereitet wurde, disku-
tiert und entschieden. Ein ziemlich geniales Instrument bei strittigen Diskussionen ist das
Konsensstufenmodell. Dabei werden die in der Gruppe oft heiß diskutierten Alternativen
einer Entscheidungsfrage in einer Tabelle eingetragen. Alle Anwesenden bewerten dann mit
ihrem Namenskürzel jeden einzelnen Alternativvorschlag in festgelegten Abstufungen von
Zustimmung bis Ablehnung. Es ergibt sich dabei meist sehr schnell ein Bild, welcher
Vorschlag überhaupt in Frage kommt bzw. überwiegend abgelehnt wird. Entscheidend ist
nun, dass jetzt nicht einfach nach dem Mehrheitsprinzip abgestimmt wird, sondern dass die
Bedenken gehört werden und versucht wird, diesen durch Veränderungen Rechnung zu
tragen. Ich kann mich dann, auch wenn nicht alle meine Bedenken ausgeräumt sind, einem
mehrheitlich akzeptierten Vorschlag mit dem guten Gefühl anschließen, gehört worden zu
sein, und dass ein mögliches Risiko von der Gruppe wahrgenommen und bewusst getragen
wird. Entscheidungen, die trotz Bedenken von der Gruppe getroffen werden, sind
gemeinsame Entscheidungen – geht’s schief, wird kein EinzelneR dafür verantwortlich
gemacht (mit dem „ich hab’s ja gleich gesagt“ muss man halt leben, ist aber selten ...).
Wir teilen gerne – vor allem die Arbeit
Bei diesem ganzen „Miteinander“ braucht es auch eine Diskussions-, ja vielleicht sogar
eine Streitkultur, die erlernt und geübt werden muss. Ausreden lassen ist dabei noch das
Einfachste. Bedenken äußern, kritisieren, ohne dabei herabwürdigend verletzend zu sein,
ist schon weit schwieriger. Oft packen wir ja viel unserer ureigenen Befindlichkeiten (Eitel-
keit, Unsicherheit, Ängste, Geltungsbedürfnissse, Neid und was es da sonst noch so alles
gibt) in unsere Aussagen.
Seit vielen Jahren werden wir methodisch von der Werkstatt für gewaltfreie Aktion, Heidel-
berg, unterstützt. Wichtig und hilfreich ist die Begleitung unserer GesellschafterInnen-
Treffen durch deren professionelle Moderation. Für Konflikte nehmen wir auch schon mal
Mediation in Anspruch. Alles selber hinkriegen zu wollen ist Sparen am falschen Ende!
Im Versandteam in Witzenhausen gibt es grundsätzlich arbeitsteilige Strukturen. Bereiche
wie Buchführung, Auftragsbearbeitung, Personalverwaltung usw. sind einzelnen Personen
zugeordnet und werden von diesen hauptverantwortlich bearbeitet. Mindestens eine Kolle-
gin oder Kollege arbeitet aber zu und kann vertreten. Am Wochenanfang trifft sich das
Stammteam und stimmt den Verlauf der Woche ab, klärt offene Fragen, Probleme usw.
Das Versandteam nutzt an drei bis vier Terminen jährlich die Möglichkeit, mit dem erfahre-
nen Außenblick einer Supervisorin auf das Teamgeschehen zu schauen. Gerade weil wir
Problematisches nicht einfach nach „oben“ delegieren können, ist dies besonders wichtig
für uns.
So denn
Ist das Modell, wie bei Dreschflegel zusammengearbeitet wird, jetzt die allein selig machen-
de Alternative zu herkömmlichen hierarchischen Organisationsformen? Klare Antwort:
Kommt darauf an ... Manchmal genügen vielleicht einige wenige ProfilneurotikerInnen, um
Gruppenprozesse zu sprengen. Auch können manche Menschen mit klaren Ansagen von
oben besser leben, als sich dem Prozess der Meinungsbildung einer Gruppe auszusetzen:
„Gruppe macht oft lustlos.“ Wenn es aber einer Gruppe gelingt, die Fähigkeiten und
Neigungen Einzelner konstruktiv in das Gruppengeschehen einzubinden, ist sie weit
kreativer als hierarchisch organisierte Verbände.
Teamfähigkeit ist heute bei jungen BewerberInnen in der Wirtschaft genauso wichtig wie
gute Noten in Deutsch oder Mathe. Von daher scheinen zumindest in größeren, modernen
Betrieben die Zeiten der klassischen Patriarchen vorbei. Für mich persönlich ist im
Angestelltenverhältnis eine Form des Zusammenarbeitens wie bei Dreschflegel unabdingbar
– Alternative dazu wäre, selbstständiger Unternehmer zu sein. Das war ich auch lange Zeit
und weiß daher die Vorteile einer Teamarbeit zu schätzen!
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Unser Gartentelefon hilft Ihnen gern weiter:
(Jan. bis Okt. Mittwoch 18-20 Uhr)
