Dreschflegel Bio-Saatgut
Samenbau: Möhre (Autor: Jens Eichler)
Wurzel, rote oder gelbe Rübe, Karotte – es ließen sich sicher noch ein paar Synonyme mehr für die Möhre (botanisch: Daucus carota) finden, mit deren Vermehrung sich dieser Artikel in der Reihe "Samenbau im Hausgarten" beschäftigt.
Gemüse
In früheren Zeiten war zumindest die Lagermöhre als Massengemüse eine Grundlage der Selbstversorgung und wurde eher schubkarrenweise in die Keller und Mieten gefahren. Die große Zahl an Früh- oder Treibsorten zeigt aber auch ihre Bedeutung als delikates Frischgemüse. Damit wäre auch schon ein wichtiges Merkmal angesprochen, das neben der Wurzelform und -farbe die Sortenwahl maßgeblich beeinflusst.
Ist die Entscheidung für eine Sorte gefallen, kann es endlich an den Anbau gehen. Im Samenbau ist die Möhre eine zweijährige Kultur. Der Anbau im ersten Jahr bis zur Genussreife erfolgt wie gewohnt.
Es gibt nur ein paar Punkte, auf die geachtet werden muss. Vor allem der Aussaatzeitpunkt ist entscheidend, denn wie schon erwähnt gibt es Früh- und Spätsorten, die sich stark in ihrer Kulturdauer unterscheiden. Diese kann zwischen ca. 70 und 200 Tagen liegen.
Ziel sollte es sein, zum Einlagern im Herbst ausgereifte Möhren ernten zu können. Daher muss rückwärts gerechnet und Frühsorten müssen entsprechend später im Jahr gesät werden. Denn wenn diese bei der Ernte zu alt sind, können Lagerfähigkeit und die Möglichkeit der Selektion beeinträchtigt sein.
Neben der passenden Aussaat sollte noch darauf geachtet werden, Möhren, die im ersten Jahr schon in Blüte gehen, zu entfernen und nicht für die Vermehrung zu nutzen. Sonst sollte einfach auf einen gleichmäßigen Anbau geachtet werden, der uns mit einer Erntemenge von vielleicht 100 Möhren oder gerne auch mehr erfreut.
Auslese
Mit der Ernte im Herbst erfolgt dann eine erste Selektion: Wir ernten alle Möhren auf einmal und legen sie nebeneinander auf dem Beet aus. Das Laub wird bis auf die Herzblätter, die bleiben müssen, entfernt.
Am wichtigsten ist, dass die Möhren gesund und gut entwickelt sind. Unter den Wurzeln, die dieses Kriterium erfüllen, werden nun diejenigen als Samenträger ausgewählt, die dem gewünschten Sortenbild hinsichtlich äußerer Merkmale wie Form, Farbe, Länge/Größe, Ausformung der Spitze, Reifezustand, etc. am ehesten entsprechen.
Es sollten für die Vermehrung im Hausgarten mindestens 20-30 Exemplare ausgewählt werden. Ein weiteres sehr wichtiges Auswahlkriterium ist natürlich der Geschmack. Sollen die Samenträger auf Geschmack selektiert werden, so müssen sie probiert und dabei natürlich auch verletzt werden, was sich nachteilig auf die Lagerfähigkeit auswirken kann. Daher habe ich bisher meine Möhren immer erst im Frühjahr getestet, nach überstandener Einlagerung.
Es wird zum Probieren ein kleines Stück von der Möhre abgeschnitten, entweder oben an der Schulter, von der Spitze, oder es wird ein Käsebohrer genutzt, um den Bohrkern probieren zu können. Die Verletzung an der Möhre wird mit Holzasche bestreut, um eindringender Fäulnis weitestgehend vorzubeugen. Wurde ein Loch gebohrt, kann der restliche Bohrkern in Asche gerollt das Loch wieder verschließen.
Überwinterung
Jetzt habe ich über den Geschmackstest die Winterlagerung übersprungen; also noch mal zurück in den Herbst: Ich bringe die zukünftigen Möhren-Samenträger in wasserdurchlässigen Kisten, stehend eingepflanzt in einer Mischung aus sandiger Erde und Hobelspänen, durch den Winter. Diese Kisten stehen bei mir in frostfreien Perioden zwecks Belichtung im Freien, bei Frost in einem Keller.
Die Feuchtigkeit der Erdmischung sollte kontrolliert werden, damit die Samenträger nicht unbemerkt austrocknen oder faulen.
Das zweite Jahr
Mit dem beginnenden Frühling können ab Mitte bis Ende März die Samenträger auf den Acker gepflanzt werden. Guter Kontakt der Wurzeln zum Boden und ggf. mehrfaches Angießen sind hier wichtig, damit die Wurzeln bei gutem Wetter nicht noch nach überstandener Winterlagerung vertrocknen.
Ich wähle beim Auspflanzen im Frühjahr mit ca. 60 cm Reihenabstand und 20-25 cm Pflanzenabstand ein deutlich größeres Raster als beim Anbau im ersten Jahr, denn es werden sich aus jeder Möhre große Pflanzen mit mehreren Blütenständen entwickeln.
Neben einer normalen gärtnerischen Pflege wird ab einer gewissen Wuchshöhe eine Anbindung der Pflanzen erforderlich, damit sie nicht umknicken. Während der Möhrenbestand Blütendolde um Blütendolde öffnet, ist etwas Zeit, um die Bestäubungsbiologie anzuschauen.
Die Möhre ist ein insektenbestäubter Fremdbefruchter, und die Blüte zieht viele Fliegen, Schwebfliegen und Käfer an. An diesem Punkt wird es noch mal spannend, denn die Möhre ist also offen für Einkreuzungen – sowohl anderer Sorten als auch ihrer wilden Verwandten, der wilden Möhre.
Damit kann auf unterschiedliche Art und Weise umgegangen werden. Die Kreuzung mit anderen Sorten bleibt aus, wenn nur eine Sorte vermehrt wird und es keine blühenden Möhren in Nachbars Garten bzw. innerhalb einer Distanz von mindestens 500 m gibt. Einer freundlichen Bitte an die Gartennachbarinnen, schießende Möhren zu entfernen, wird sicher nachgekommen.
Sollte es in der Nachbarschaft tatsächlich noch jemanden geben, der oder die Möhrensaatgut macht, so gratuliere ich herzlich!! In diesem Fall helfen einfache Verabredungen, wer in welchem Jahr die Möhren blühen lässt. Etwas anders sieht es mit der wilden Möhre, erkennbar am schwarzen Einzelblütchen in der Mitte der weißen Dolde, aus: hier gibt es eigentlich drei Varianten:
- Es gibt in der Gegend keine wilden Möhren. Das ist bei mir der Fall und mir noch von anderen nordwestdeutschen Gegenden bekannt.
- Es gibt wilde Möhren, aber es sind nur wenige oder die Lage des Gartens oder die Struktur der Landwirtschaft in der Region ist so, dass kein nennenswertes gleichzeitiges Blühen gegeben ist. Hier kann der Samenbau einfach ausprobiert werden, und über den Nachbau des eigenen Saatgutes ist zu sehen, ob und wieviel wilde Möhre eingekreuzt hat. Die Einkreuzer sind dann weiß und zäh.
- Wenn sehr viel wilde Möhre blüht, ist die Wahrscheinlichkeit der Einkreuzung sehr hoch. Wenn ein hoher Anteil eingekreuzter Möhren vermieden werden soll, muss die Kultur isoliert werden: Ein insektendichter Netztunnel mit extra eingesetzten Bestäuberinsekten ist dann notwendig. Da dies wahrscheinlich für den Hausgarten zu aufwändig ist, gehe ich hier nicht weiter darauf ein. Mein Rat wäre, die Vermehrung einmal zu probieren und nach dem Nachbau zu entscheiden, ob es Sinn macht oder nicht. Auf jeden Fall sollte solches Saatgut nicht getauscht oder gar gehandelt werden, schon gar nicht, bevor die Qualität im eigenen Nachbau getestet worden ist.
Samenernte
Inzwischen haben die Möhren geblüht und die Dolden sind voll von zunächst grünen Samenkörnern. Mit zunehmender Abreife werden die Dolden hellbraun. Ich schneide die einzelnen schon reifen Dolden mit der Schere ab, wenn diese Bräunung eingetreten ist.
Gerade bei schlechtem Wetter verpilzen die reifen, feuchten Dolden schnell und werden dann dunkelbraun bis schwarz. Wenn möglich, sollte das vermieden werden: Entweder werden vor dem Regen etwas unreife Dolden geerntet, die dann im Trockenen nachreifen dürfen, oder nasse Dolden werden bei bewölktem Wetter im Garten an der Pflanze belassen. Dort stehen sie luftiger und trocknen schneller als eng an eng an einem nicht durchlüfteten Trockenplatz.
Die Ernte zieht sich über einige Wochen hin, und die geernteten Dolden werden an einem trockenen Platz gesammelt. Jetzt darf sich schon mal zurückgelehnt und über die große Menge an Samen gefreuet werden, die die zweijährige Betreuung dieser nicht ganz einfachen Kultur eingebracht hat.
Das Ausdreschen der Dolden geht am besten, wenn diese richtig trocken sind. Ich reibe die Samen mit dem Daumen aus der Dolde, die in meiner Hand liegt. Hierbei fällt spätestens auf, dass die Möhrensamen am Rand eine Reihe ziemlich stabiler Härchen haben. Menschen, die mit Wollpulli oder in Flauschtüchern geerntet haben, sind sie schon vorher unangenehm aufgefallen.
Diese Härchen sind bei der weiteren Reinigung störend, denn die Samen mit den Härchen lassen sich weder sieben noch mit Wind reinigen. Durch Reiben der Samen auf einem feinen Sieb oder einem groben Stoff lassen sich die Haare entfernen. Hierbei verströmt ein unglaublich intensiver Möhrenduft!
In abgeriebenem Zustand lassen sich die Samen nun gut durch Sieben und Reinigung im Luftstrom von Verunreinigungen, Unkrautsamen und Kümmerkörnern befreien. Diese Reinigungstechniken wurden bereits in vorangegangenen Artikeln dieser Reihe in vorjährigen Ausgaben der Saaten & Taten erklärt.
Die Qualität des gewonnenen Saatgutes kann gut durch einen Keimtest bestimmt werden. Um die mögliche Keimdauer von drei bis vier Jahren zu erreichen, sollte auf eine möglichst trockene und gleichmäßig kühle Lagerung des Saatguts geachtet werden. Wer dann im Folgejahr zum ersten Mal die Möhren aus dem eigenen Saatgut erntet, kann ruhig etwas stolz sein!